Einige Bernhard-Figuren sind absolute Perfektionisten, die ihre Erwartungen so hoch stellen, dass sie diese nie erreichen werden. Rudolf der Erzähler in "Beton" versucht seit über zehn Jahren an einer wissenschaftlichen Arbeit über seinen Lieblingskomponisten zu schreiben, doch er findet nie die nötige Ruhe und das nötige Umfeld dazu. In "Ja" arbeitet der Erzähler seit geraumer Zeit an einer Studie über Antikörper, doch verfällt immer wieder in seine "Gefühls- und Geisteskrankheit", die ihm das Arbeiten verunmöglicht. Bernhard schreibt über sich in seinem autobiographischen Werk "Wittgensteins Neffe: "... werde auch ich über kurz oder lang an meiner eigenen Selbst- und Weltüberschätzung zugrunde gehen." Er schreibt sein letztes grosses Prosawerk "Auslöschung" (1986) über mehrere Jahre hinweg und greift frühere Erzählungen wieder auf. Bereits in "Der Italiener" (1971) sind wichtige Elemente enthalten, die Bernhard in "Auslöschung" weiterentwickelt. Auch Bernhard war ein Perfektionist im Hinblick auf seine Sprache und die Komposition seiner Werke.
Bruscon der Protagonist des Stückes "Der Theatermacher" ist Schriftsteller und Schauspieler zugleich, dem es nicht gelingt sein Theaterstück, aufzuführen. Er macht sich hingegen keine Illusionen: "Wenn wir ehrlich sind / ist das Theater an sich eine Absurdität / aber wenn wir ehrlich sind / können wir kein Theater machen / weder können wir wenn wir ehrlich sind / ein Theaterstück schreiben / noch ein Theaterstück spielen / wenn wir ehrlich sind / können wir überhaupt nichts mehr tun / ausser uns umbringen". Bruscon definiert seine Tätigkeit als "Lebenslängliche Theaterkerkerhaft / ohne die geringste Begnadigungsmöglichkeit". Er muss bis zu seinem Tod seinen Platz auf der Bühne [seiner Existenz] einnehmen. Die menschliche Existenz wird zu einer einzigen Theateraufführung. Der Fürst in "Verstörung": "Die Welt ist tatsächlich, wie schon oft gesagt eine Probebühne, auf der ununterbrochen geprobt wird. Es ist, wo wir hinschauen, ein ununterbrochenes Redenlernen und Gehenlernen und Denkenlernen und Auswendiglernen, Betrügenlernen, Sterbenlernen und Totseinlernen, das unsere Zeit in Anspruch nimmt. Die Menschen nichts als Schauspieler, die uns etwas vormachen, das uns bekannt ist. Rollenlerner". Das Leben ist ein groteskes, absurdes Theater, das Bernhard in seinen Werken wieder aufnimmt und parodiert. Bernhard bestand bei der Uraufführung seines Stückes "Der Ignorant und der Wahnsinnige" auf absolute Dunkelheit, die feuerpolizeilich nicht durchzusetzen war. Zehn Jahre später greift er in "Der Theatermacher" diese Geschichte um das Notlicht wieder auf. Der Theatermacher Bruscon versteift sich ebenfalls auf die Forderung, das Notlicht abzuschalten. Bernhard entwickelt Figuren, die in langen Monologen agieren, in welchen ihre Isoliertheit, ihre Abgesondertheit von der Welt zum Ausdruck kommt, sie werden von ihrer Umwelt nicht verstanden und enden darin, dass sie nicht einmal mehr sich selbst verstehen. Damit versetzt Bernhard den Leser in eine hoffnungslose Welt, in der es zu überleben gilt. Bernhards Stücke lösten meistens heftige Kontroversen aus. Bernhard hielt fest, dass er gegen sein Publikum anschreibt: "Gegen das Publikum naturgemäss, weil das Publikum für mich wie eine Mauer ist gegen die ich ankämpfen muss. Ich muss gegen das Publikum sein, um meine Arbeit machen zu können". Bruscon sagt denn auch: "Aber wenn die Leute / meine Komödie verstehen / habe ich keine Lust mehr / sie zu spielen." Bruscon beschimpft seine Schauspieler [seine Familie], die er alle für unfähig hält. Bernhard war zum Teil verärgert über die Aufführungen seiner Stücke. In seinem autobiographischen Buch "Wittgensteins Neffe" schreibt er über die Erstaufführung seiner "Jagdgesellschaft": "Diese Burgschauspieler hatten ... gegen mich und mein Stück agiert ... als wollten sie sagen, wir sind ja gegen dieses scheussliche, minderwertige, abstossende Stück ... Augenblicklich hatten sie sich mit dem ahnungslosen Publikum gemein gemacht um mir und meinen Stück ... den Garaus gemacht ...". Bernhard spielte immer wieder auf das gehobene Logentheater an, so lässt er denn auch seinen Theatermacher Bruscon als "Volksschauspieler" über das Land ziehen. Professor Robert in "Heldenplatz": "Das Theater war doch immer nur ekelhafte Wichtigtuerei / aber natürlich verhilft es immer wieder / zu aufregenden Familienanschlüssen".
Man erkennt einige Parallelen zwischen Bernhards Figuren und dem Autor selber, trotzdem wäre es fatal, alle Aussagen der Erzählfiguren direkt auf Thomas Bernhards Person zu projizieren. Zum Beispiel fehlt der Überlebenswille Bernhards [gegen seine Lungenkrankheit] den meisten Protagonisten seiner Stücke. Konrad in "Das Kalkwerk" proklamiert "... nur glaubten die Leute in ihrer Geistesniedertracht immer, Person und Arbeit eines Schriftstellers vermischen zu können". Bernhard schreibt über seine Werke: "In meinen Büchern ist alles künstlich, das heisst, alle Figuren, Ereignisse, Vorkommnisse spielen sich auf einer Bühne ab, und der Bühnenraum ist total finster ... in der Finsternis wird alles deutlich ... Es ist auch mit der Sprache so. Man muss sich die Seiten der Bücher vollkommen finster vorstellen: das Wort leuchtet auf, dadurch bekommt es seine Deutlichkeit oder Überdeutlichkeit." Selbst über seine "autobiographischen Werke" liegen sich die Literaturwissenschaftler im Streit. Einige behaupten, dass selbst diese Autobiographien "fiktionalisiert" sind. "Die Ursache", "Der Keller", "Der Atem", "Die Kälte", "Ein Kind" und "Wittgensteins Neffe", sind Überschriften, die zugegebenermassen keine Biographien vermuten lassen.
Bernhard verschont nichts und niemanden in seinen Werken. Die langen Tiraden seiner Erzähler ziehen über alles her, über die Koryphäen der Literatur, über Österreich, über die Niederträchtigkeit der Politiker, über den Katholizismus, usf.. Bernhards "Auslöschung" beschrieb ein Rezensent als: "... 'Suada' wider die deutsche Sprache, Provinzialität der deutschsprachigen Literatur, den Schrebergärtner Goethe, den degenerierten Staatssozialismus, die fortlebend österreichische Liaison von Nationalsozialismus und Kirche und die Wolfsegger Familie".
Nicht weiter verwunderlich, wenn die Reaktionen seiner Veröffentlichungen
und Erstaufführungen Skandale auslösten. Bernhard war
ein "Übertreibungskünstler" und Provokateur,
dem kein Thema heilig war. Mit Aussagen, wie "In jedem Österreicher
steckt ein Massenmörder" oder "Jetzt ist ja alles
noch viel schlimmer als damals [1938]" provoziert er sein
Publikum fortlaufend. Doch gerade durch die masslosen Übertreibungen
gelingt es ihm, gewisse Dinge viel genauer auf den Punkt zu bringen.
Wenn er über die Österreicher schreibt, sie seien katholische
Nationalsozialisten, ist dies vielleicht mitunter die Reaktion
auf das über vierzigjährige Schweigen über die
Verbrechen des Zweiten Weltkrieges. Dass ein ehemaliges SS-Mitglied
nach dem zweiten Weltkrieg Bundespräsident werden konnte,
ist eigentlich bedeutend gravierender als Bernhards "Nestbeschmutzungen".
Bernhard geht von Missständen aus und verallgemeinert diese.
Die "kunstvolle" Übertreibung "normaler",
dass heisst allgemein akzeptierter Missstände bringt die
verdrängten Konflikte wieder zutage. Bernhards umbarmherzige
Sprache deckt Schwächen, Ungereimtheiten, Absurditäten
der menschlichen Existenz, der Politik, der Kultur auf. Der Privatgelehrte
Franz-Josef Murau, der Erzähler in "Auslöschung":
"Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult,
dass ich mich ohne weiteres den grössten Übertreibungskünstler,
der mir bekannt ist, nennen kann. Ich kenne keinen anderen [...]
Aber auch dieser Satz ist natürlich wieder eine Übertreibung,
denke ich jetzt, während ich ihn aufschreibe, ein Kennzeichen
meiner Übertreibungskunst.".
Über die Fotografie lässt sich der Erzähler im
gleichen Werk auf rund zweieinhalb Seiten aus. Er wiederholt sich
mehrmals, greift Sätze noch einmal auf und treibt seine Aussagen
auf die Spitze: "Das Fotografieren ist eine gemeine Sucht,
von welcher nach und nach die ganze Menschheit erfasst ist, weil
sie in die Verzerrung und die Perversität nicht nur verliebt,
sondern vernarrt ist und tatsächlich vor lauter Fotografieren
mit der Zeit die verzerrte und die perverse Welt für die
einzig wahre nimmt. Die fotografieren begehen eines der gemeinsten
Verbrechen, die begangen werden können, indem sie der Natur
auf ihren Fotografien zu einer perversen Groteske machen. Die
Menschen sind auf ihren Fotografien lächerliche, bis zur
Unendlichkeit verschobene, ja verstümmelte Puppen, die erschrocken
in ihre gemeine Linse starren, stumpfsinnig, widerwärtig."
Bernhard liess sich von Zeit zu Zeit selbst fotografieren, er
war kein Fotografen-Hasser. In diesem Lamento über die Fotografie
kommt jedoch zum Ausdruck, dass die abgebildete, fotografierte
Realität, nie Realität sein kann, dass Fotos oder bewegte
Bilder immer auch Manipulationen und Verschiebungen der Realität
beinhalten. Insofern sind die Äusserungen des Erzählers
nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern decken das Leben
auf, wenn man nicht jeden Satz, jedes Wort für bare Münze
nimmt.
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